Recruiting Guide 2019/2020 | Personalwirtschaft
Autoren: Hans-Peter Förster und Andreas Förster

Stellenanzeigen auf dem Prüfstand

Prägnante Wortwahl, Informationen zu Unternehmenskultur, Jobanforderungen und auch Hinweise auf die digitale Transformation sind nach wie vor Mangelware in Stellenanzeigen, wie eine Untersuchung*) zeigt. Eine sprachliche Neuausrichtung ist dringend erforderlich.

*) Für diesen Beitrag wurden 300 zufällig ausgewählte Stellenanzeigen analysiert.
100 Anzeigen aus dem F.A.Z-Stellenmarkt, 100 von Handwerksbetrieben und
100 Anzeigen, die von Start-ups geschaltet worden sind.

Bekannt ist, dass markante, authentische Inhalte in Stellenanzeigen gute Resonanz bei qualifizierten Kandidaten aus lösen, während mit Phrasen und Passivität gefüllte Stelleninserate belanglose Echos hervorrufen. Wer die Mehrzahl untersuchter Stellenanzeigen wörtlich nimmt, liest daraus, dass überwiegend Mitarbeiter mit austauschbaren Profilen gefragt sind – in einer Welt fern der digitalen Transformation.
Digitale Transformation zählt zu den wichtigsten Managementaufgaben weltweit. Weiche Themen gewinnen an Bedeutung und Topmanager bestätigen, dass für Unternehmenserfolge die Kultur ebenso wichtig ist wie die Strategie. Im Widerspruch dazu stehen die untersuchten Stellenanzeigen. Nicht einmal in jeder zehnten Anzeige kommt die Unternehmenskultur zur Sprache.


TEXTE ZWISCHEN STILLSTAND UND SPIELECKEN

Kurze Informationswege, größerer Spielraum, mehr Mitwirkung, hohe Kreativität und flexible Initiativbereiche sollen den Weg in die Zukunft ebnen – heißt es in Publikationen, Seminaren und Kongressen zur Unternehmenszukunft. Doch nur ein Sechstel der analysierten 300 Anzeigen (siehe Infokasten) trumpft mit flacher Hierarchie auf, lediglich 17 mit flexiblen Handlungs- und Gestaltungsspielräumen. Future-Workplaces, Co-Working, Ideen für Neues und Brainstorming in Future-Labs sind in. Kaum ein Medium, das nichtregelmäßig darüber berichtet. Unternehmen haben Spiel- und Bastelecken wiederentdeckt. Gamification, Prototyping, Canvas, Design Thinking und Navigatoren sind in aller Munde, ebenso wie das wöchentliche Pizza-Essen. Kann gut sein. Das Problem ist: Die kreativen Atmosphären sind meist Insellösungen, umgeben von hierarchisch geprägtem Raum, oder sie sind gar ausgegliedert. Big Pictures rund um Industrie 4.0, Digitalisierung, Individualisierung, Change und Kundenorientierung werden in Stellenbeschreibungen jedenfalls keine skizziert. HR hüllt sich in Schweigen oder stochert verbal im Nebel und sucht vereinzelt Mitarbeiter, die „zeitgemäße“ oder „moderne“ Methoden einsetzen. Auf Vermittlungskompetenz legen nur fünf Arbeitgeber Wert. Empathie im Kompetenz-Rucksack fordert ein einziges Startup-Unternehmen: „Das bringst Du mit: Empathie, eine hohe soziale Kompetenz und die Fähigkeit, divergierende Interessen zu moderieren und zu einer tragfähigen Lösung zu führen.“ Gerade in acht Inseraten ist Umsetzungsstärke wichtig. Mitarbeiter, die das Unternehmen in Schwung bringen und halten, sucht ein einziges: „Sie werden den neuen Schwung in der Organisation aufnehmen und tragen die laufenden Veränderungen mit.“ Was ist mit den anderen Unternehmen? Ist dort Stillstand gewollt? Rar sind Stellenanzeigen, in denen Arbeitssituationen konkret beschrieben werden.
Da ist allenfalls von „situationsorientierter Führung“, „Stresssituationen“ oder „Konfliktsituationen“ die Rede, bei einem Startup heißt es allgemein: „Spaß an komplexen Situationen.“ Drei Viertel aller Deutschen sind bereit für neue Arbeitsformen, so eine Studie der Manpower Group. Flexible Arbeitsmodelle versprechen Vorteile. Doch die werden kaum genannt. Da heißt es – wenn überhaupt: „Flexibilitätin einem dynamischen Umfeld“ oder „Flexibilität und Dynamik bei der Arbeit“. Im Handwerk wird Flexibilitätin einem Atemzug mit „Bereitschaft zu Sondereinsätzen“ genannt. Nur ein Startup bietet echte Vorteile: „Flexible Arbeitszeiten, Homeoffice sowie frei wählbare Anzahl an Urlaubstagen erlauben dir höchstmögliche Flexibilität, um Beruf und Privatleben in Einklang zu bringen.“ Künstliche Intelligenz wird zahlreiche Branchen verändern. Logisch, dass Arbeitskräfte gefragt sind, die kreativ über den Einsatz von KI nachdenken. Unlogisch ist, dass dies lediglich in zwei Anzeigen zum Ausdruck kommt: „Gefühl für aktuelle Trends, idealerweise mit Blick auf Business Intelligence und Machine Learning …“

WO DAS HANDWERK TRUMPFT

Um attraktiv und wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen etablierte Firmen ihre Strukturen überdenken: Individualisierung der Arbeit, das Büro als Wissensvermittler und soziales Zentrum – Wohlfühlort für die emotionale Bindung ans Unternehmen. Doch die Suche nach dem Stichwort Individualisierung führte zu einem schwachen Ergebnis, es steht nur im Kontext mit Produkten und individualisierter Kundenkommunikation. Von Wohlfühlen ist in Management- und Start-up-Anzeigen keine Rede, allerdings in zwei Stellenanzeigen, in denen Handwerker gesucht wurden: „Wir wollen, dass Sie sich bei uns wohlfühlen und hoch motiviertIhre neuen Aufgaben angehen.“ Oder: „Wir lassen die Hausträume unserer Kunden zu Traumhäusern werden. In einer Atmosphäre, die unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Wohlfühlen, Mitgestalten und Verwirklichen einlädt.“Wissenstransferist nur in einer der Anzeigen von einem Start-up ein Thema: „Das Team unterstützt du aktiv mit deinem Know-how und trägst damit zum stetigen Wissenstransfer bei.“
Durch die digitale Revolution verändert sich die Art und Weise, wie wir kommunizieren und zusammenarbeiten. Lediglich aus der Handwerker-Branche widmen sich drei Anzeigen diesem Thema: „Zusammenarbeit und eine funktionierende Kommunikation sind uns wichtig.“ Weitere Fundstellen: „Flache Hierarchien und Zusammenarbeit auf Augenhöhe“, „Wir schätzen klare Kommunikation und enge, gute Zusammenarbeit – auch deswegen duzen
wir uns alle.“
Aus unterschiedlichen Arbeitssituationen ergeben sich verschiedene Arbeitsstile, die agile Anforderungen an die Arbeitsumgebung wie auch an die Mitarbeiter stellen. Menschen, die sich durch Spontaneität auszeichnen, sucht unter den dreihundert Inseratenniemand! Und über die begehrten Magnete und Netzwerknoten im Unternehmen berichten ausschließlich Startups. Beispiel: „Kaffee- und Mate-Flatrate, frisches Obst sowie Bürospiele und regelmäßige Teamevents sorgen für Spaß auf der Arbeit und das notwendige Start-up-Feeling.“

VORSICHT VOR MUSTERTEXTEN

Vor zehn Jahren, als die ZeitschriftInternet World Business von „peinlichen“ und die Süddeutsche Zeitung von „abschreckenden“ Auftritten der Personalabteilungen berichtete, untersuchten wir die Wirkung der Stellenanzeigen – über rein sprachwissenschaftliche Kriterien hinaus. Erfreulich: Was Floskeln, Füllwörter, Schachtelsätze und Wortungetüme betrifft, hat sich die Situation deutlich verbessert. Stolpersteine wie „Weiterentwicklungsmöglichkeiten“ oder Behördenjargon wie „Dienstleistungsverständnis“ sind Ausnahmen. Doch manch herausragendes Layout erhält durch gewöhnliche Wortwahl einen mausgrauen Anstrich.Auffallend ist, dass HR mit Verben nach wie vor sparsam umgeht. Ein Widerspruch in sich. Letztendlich suchen und brauchen Unternehmen Mitarbeiter, die etwas tun. Eine der Ursachen mag darin liegen, dass auf konventionelle Mustertexte zurückgegriffen wird. Typische Aufgabenbeschreibungen: Abwicklung, Bearbeitung, Bedienung, Berücksichtigung, Durchführung, Mitwirkung und so weiter. Laut Nutzerbefragung der F.A.Z. sind StellenmarktKenner engagierte Leute, die in ihrem Beruf etwas bewegen wollen (67 Prozent). Verben vermitteln direkt und aktiv, was auszuführen ist: abwickeln, bearbeiten, bedienen, berücksichtigen, durchführen, mitwirken.

WO START-UPS DIE NASE VORNE HABEN

Das rationale Sprachklima überwiegt damals wie heute. Wir haben die Stellenanzeigen mit unserer Datenbank abgeglichen, welche über 250 000Wörter umfasst, die nach ihren typischen Grundfunktionen codiert sind:

  • Rational (blau): Informationsfunktion (Zahlen, Daten, Fakten)
  • Konservativ (grün): Garantiefunktion (Qualität, Tradition, Nachweise)
  • Intuitiv (gelb): Erlebnisfunktion (Vision, Idee, Begeisterung)
  • Emotional (rot): Kontaktfunktion (Sympathie, Herz, Gefühl)

Karriereanzeigen aus der F.A.Z. enthalten lediglichsiebenProzent emotionaleWörter, während es bei Anzeigen von Start-ups mit zwölf Prozent deutlich mehr sind. Das Handwerk bleibt bei der Wortwahl eher traditionell-konservativ. Progressive Vokabeln mit Erlebnisfunktion, die Visionen, Ideen und Arbeitsfreude vermitteln können, bilden bei allen drei Quellen das Schlusslicht, aber auch hier haben die Startups die Nase vorne. Welche Adjektive verwendet werden, zeigen die beiden Tabellen.


Wörter, die vor zehn Jahren noch zu den Raritäten zählten, sind heute häufiger zu finden, darunter Adjektive wie proaktiv, sympathisch, zukunftsorientiert oder Nomen wie Einblicke, Fingerspitzengefühl, Freiheit, Lebensqualität, Perspektive und Vision. Explosionsartig haben sich dieWörter spannend (75-fach) und Leidenschaft (31-fach) gegenüber 2008 vermehrt.

BEDEUTUNGSSTARKE WÖRTER SIND VERSCHWUNDEN

Personalmanager sollten darüber nachdenken, weshalb im Laufe von zehn Jahren damalige Wortraritäten heute in den Stichproben völlig verschwunden sind: behutsam, beliebt, erfreulich, harmonisch, hilfsbereit, prima, rege, reizvoll, verwöhnt. Eigenschaften, denen in psychologischen Studien eine hohe Bedeutung für Fähigkeiten und Talente zugeschrieben werden, fehlen: ausdauernd, einfallsreich, einfühlsam, entschlussfähig, erfinderisch, konfliktfähig, phantasievoll, redegewandt, sachkundig, scharfsinnig, sprachgewandt, weitschauend, weitsichtig. Oder sie werden nur spärlich eingesetzt: diplomatisch, erfindungsreich, fachkundig, geschickt, methodisch,routiniert, talentiert, vorausschauend. Nachfolgende bedeutungsklare Wörter, die für Temperament- und Charaktereigenschaften stehen, vermissen wir: charakterstark, entschlusskräftig, experimentierfreudig, fleißig, geduldig, lernbegierig, pflichtbewusst, ordnungsliebend,reiselustig,rücksichtsvoll, sparsam, strebsam, verantwortungsfreudig, wortreich, zielbewusst, zielsicher. Folgende Eigenschaften sind in höchstens drei von hundert Anzeigen zu finden: ehrgeizig, ehrlich, erfolgsorientiert, hilfsbereit, kontaktfreudig, pünktlich, selbstbewusst, tatkräftig, tolerant, zielstrebig. Mit Blick auf agile, komplexer werdende Arbeitswelten muss sich jeder Personaler die Frage stellen, ob es wie bisher weitergehen soll oder eine Neuausrichtung in Stellenprofilen undAusschreibungen erforderlich ist.

WER WIR WIRKLICH SIND

Die Analyse zeigt: Prägnante Wortwahl ist Mangelware. Wer für eine viertelseitige Schwarzweißanzeige in einer Zeitung 15 000 Euro und mehr investiert, sollte sich diese Fragen zuvor stellen: Sagen wir mit dieser Anzeige aus, was wir wirklich wollen? Wird Bewerbern deutlich, warum sie bei uns und nicht bei der Konkurrenz arbeiten sollen? Ist die Wortwahl markenkonform und zielgruppengerecht? Sind die Inhalte für die Zielgruppe relevant und wecken dadurch Interesse? Aus den Studienergebnissen lassen sich folgende Empfehlungen für die Wortwahl in Stellenanzeigen ableiten:

  • Wortvielfalt typgerecht nutzen,
  • Verben und aktiven Stil forcieren,
  • Arbeitserlebnisse bildhaft undAtmosphäre spürbar umschreiben,
  • neue Anforderungen und Herausforderungen der agilen Arbeitswelten kommunizieren – sowohl unter „suche“ als auch unter „biete“.

Mitarbeiter, die neue Herausforderungen suchen, halten Ausschau nach Entfaltungsmöglichkeiten. Es gilt, diesen latenten Wunsch in eine rationale und emotionale Text-/Bildsprache zu übersetzen. Der Text ist nach Sinneinheiten zu strukturieren, die wichtigsten Soft Skills sind hervorzuheben. Wichtig ist, dass das Personalmanagement Corporate-Bausteine – Design wieWording – aus der Unternehmenskommunikation konsequent anwendet. So werden die Besonderheiten des Unternehmens präzise vermittelt.