Vorwort aus dem Buch „Professionell Briefe schreiben“, F.A.Z. Institut, 2001/2004
Zur Antike war Papyrus knapp. Zu jener Zeit soll dennoch die Briefkultur am höchsten entwickelt gewesen sein.
Der Brief vertritt die Stelle des Gesprächs …. Indem nun der Brief die Stelle mündlicher Mitteilung vertreten soll, so nähert er sich auch an Leichtigkeit und Natürlichkeit derselben mehr als eine andere schriftliche Darstellung und muss wenigsten den Schein des Unvorbereiteten haben ….
Schreiben, als ob man spräche, nicht jedoch so, wie man spricht. Der Schein der Natürlichkeit genügt.
Das war Gellerts Ruf im 18. Jahrhundert, ein Verfechter einer neuen Briefkultur – neben Klopstock, Lessing oder Goethe. Man nennt Christian Fürchtegott Gellert auch den „Vater des deutschen Briefs“. Bis heute halten sich nur wenige an seine Briefpraxis und Brieflehre, die in vielen Teilen noch immer nachahmenswert ist. Doch die Schulen lehren getreu nach Lehrplan den alten Floskelbrei. Ein Blick in das Fachbuch „Textformulierung für Sekretärinnen“ zeigt, was noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts (1995) vermittelt wurde:
Unsere Jugend schreibt oft „hallo“. Hallo ist aber keine Anrede, sondern ein Signal, mit dem man seine Zugehörigkeit zu einer anderen Sprachschicht und außerdem Hilflosigkeit im Umgang mit gesellschaftlichen Gepflogenheiten dokumentiert.
Dagegen haftet der veralteten Anrede mit „wert“ heute der Beigeschmack der Geringschätzung an. Die Anrede „ Werter Herr Meyer“ gilt daher als außerordentlich unhöflich.
Wen wundert es, wenn unsere Kinder [Anmerkung 2022: auch heute noch da und dort in der Schule] brav in Briefen „Sehr geehrt“ begrüßen und sich farblos „mit freundlichen Grüßen“ verabschieden. Eine der Ursachen, weshalb sich meist ein Brief wie der andere liest.
Nur wenige Ausnahmen bestätigen diese Regel.
Ungeschriebene Sprache des Alltags! Schriebe sie doch einmal einer! Genau so, wie sie gesprochen wird: ohne Verkürzung, ohne Beschönigung, ohne Schminke und Puder, nicht zurechtgemacht.
Die Alltagssprache ist ein Urwald – überwuchert vom Schlinggewächs der Füllsel und Füllwörter.
Diese Empfehlung von Kurt Tucholsky (1927) richtet sich an die gedankenlosen Wortproduzenten, öden Textlangweiler, vermeintlichen Buchstabenzauberer … Ein Kopfschütteln ist angebracht: Wir agieren mit modernsten Kommunikationsmedien und beschwören die Kundenorientierung, in der der Mensch im Mittelpunkt stehen soll. Ich kenne keinen einleuchtenden Grund, jeden beliebigen in jedem beliebigen Brief weiterhin mit „Sehr geehrte … “ zu begrüßen. Wie lange noch wollen wir weiter „beiliegend“ oder „in Erwartung entgegensehen“, irgendwo „verbleiben“ und auf eine „Rückantwort“ vom „Linksunterzeichner“ warten?
Jeder Brief prägt Image. [Darum die Frage an jene, die das bis heute übersehen]
Wie lange eigentlich wollen Unternehmen das Niveaugefälle zwischen ihrem anspruchsvollen Leitbild und der anspruchslosen Korrespondenzflut akzeptieren?
4-Farben-Briefe
Keinem ist es so gut wie Kurt Tucholsky gelungen, sich durch Wort- und Stilwahl neben seiner Person vier zusätzliche, völlig verschiedene Identitäten aufzubauen. Vier Synonyme, als Spiel gedacht und erfunden, wollte doch eine Wochenzeitung nicht viermal denselben Namen unter vier Artikeln. Vier „Typen“ stehen auch in diesem Buch im Mittelpunkt. …
Mit nur wenig Übung lernen Sie, mit vier Buntstiften Brieftexte zu analysieren und erfahren schnell, mit welchen Wörtern Sie bei wem ins Schwarze treffen … Zu den Buntstiften gesellt sich ein Brief-Konzept. Sie finden [im Buch] vier farbige Kapitel mit vielfältigsten Formulierungen. Sie entscheiden, in welchen Farbtopf Sie greifen. Jeder Textbaustein wurde in vier Stile „ übersetzt“. Bevor Sie sich aus den über 1.300 Beispielsätzen welche herauspicken, überlegen Sie erst kurz: Was wollen Sie beim Empfänger ansprechen? Gefühl, Intuition, Verstand oder Sinne? Suchen Sie nach einem sachlichen, empfehlenden, außergewöhnlichen oder gefühlsbetonten Einleitungs- oder Schlusssatz? …
Nebenbei erfahren Sie Wichtiges über Mindeststandards, Richtlinien, Ideen außerhalb der DIN 5008, Nützliches über die 4-Farb-Mailings, Lesenswertes über frauengerechte Sprache [Stand 2001] und last but not least auch Empfehlungen im Umgang mit der Rechtschreibung. Dazu gleich eine Antwort auf eine der typischsten Rechtschreibfragen: Wie schreibt man jetzt in Bezug auf oder in bezug auf? Meine klare Antwort: weder – noch! Ein erkenntnisreiches Leseerlebnis, etwas Mut beim Abschied von vertrauten Floskeln und vor allem viel Erfolg bei der Umsetzung Ihrer neuen Briefkultur!
Hans-Peter Förster
und die „Buchmacher“ im FA.Z.-Institut
Widmung
DIESES BUCH WIDME ICH,
IN VERBEUGUNG VOR DER
KUNST DER KOMMUNIKATION,
EINER NEUEN BRIEFKULTUR.
EIN AUFRUF DES
ABSCHIEDNEHMENS VON
DEN FLOSKELN DES ALLTAGS.
SCHLIESSLICH LEBEN WIR IN DEN
GEZEITEN DER WANDLUNGEN.
VOR UNS LIEGT EIN OZEAN
DER NEUEN SPIELREGELN.
LASSEN WIR DIE GEWOHNHEITEN
IM MEERESGRUND VERSINKEN!